Pressetexte sind oftmals Grund zur Erheiterung, meist hinsichtlich befremdlicher Verdrehungen der Realität. Die Anpreisung von Crysis sorgt vor allem beim Punkt »Epische Story« für erfreutes Gackern, denn die
Geschichte um einen Trupp Superanzug-Träger, die in naher Zukunft in Nordkorea ein entführtes Wissenschaftler-Team suchen und auf Frostaliens treffen, wäre vermutlich selbst Uwe Boll zu flach. Aber egal, die deutsche Sprachausgabe ist gut, die Echtzeit-Cutscenes sind direkt in die Spielegrafik integriert, und ganz ehrlich: Die Story spielt hier nur die fünfte Geige, keiner dürfte Crysis mit der Hoffnung im Hinterkopf starten, einen Roman von Dostojewski spielen zu dürfen.
Genau genommen dürfte der erste Gedanke während der ausufernd langen Installation etwas in der Art von »Muss ich für mehrere Wochen auf Essen verzichten, um meinen Rechner aufzurüsten?« sein. Denn von Crytek erwartet man nicht weniger als den gegenwärtig bestaussehendsten Shooter. Habt ihr ein Quadcore-SLI-Schlagmichtot-Monster mit möglichst viel RAM zu Hause stehen, dann bekommt ihr den auch: Der Dschungel ist dicht, der Dschungel ist bewaldet, der Dschungel ist so dschungelig, wie es auf einem Computer derzeit machbar ist! Schmetterlinge und Blätter schwirren umher, Gras und Bäume schwanken im Wind und bei Berührung, Buschwerk verbiegt sich beim Durchlaufen, Sonnenstrahlen kitzeln durch dichte Baumkronen hindurch. Der Boden ist praktisch nie eben, tausende dreidimensionale Kiesel sorgen an einem Berghang für beeindruckende
wie die wahlweise männliche oder weibliche Computerstimme knarrend verkündet, dann könnt ihr höher springen als der 6 Millionen Dollar-Mann und Gegenstände sehr weit und sehr kraftvoll werfen - Steine, Kisten, Häuserteile, Hühner oder bedauernswerte Gegner. Aktiviert ihr die »Maximale Panzerung«, seid ihr stabiler als Iron Man, einschlagende Kugeln zeigen weniger Wirkung. Mit der Tarnung verschwindet ihr für kurze Zeit von jedem Radar und aus jedem Augenwinkel - nützlich für das unbemerkte Heranschleichen (allerdings ist's mit der Unsichtbarkeit vorbei, sobald ihr einen Schuss abgebt) oder die schnelle Flucht. Die wird von »Maximaler Geschwindigkeit« noch weiter beflügelt, allerdings nur kurz: Dieser Modus lutscht die begrenzte Nano-Energie wahnwitzig schnell leer - die regeneriert sich allerdings nach wenigen Sekunden selbständig. Obgleich diese Nano-Kräfte im Prinzip nur clevere Namen für altbekannte Extras-Elemente sind, sorgen sie doch für einschneidende Momente: Ich renne mit Mörder-Speed in ein Waldstück, zücke dort das Scharfschützengewehr, verpasse mir eine Extraportion Stärke, erledige drei Gegner, bevor sie »Hilfe, Supersoldat!« schreien können, knipse erneut die Tarnung an, düse zu einem wild in der Gegend herumfeuernden Flugabwehrgeschütz, aktiviere die Zusatzmuskeln, wähle mitten im Sprung einen Sprengsatz aus meinem Inventar, ramme es dem Geschütz in die stählernen Eingeweide, mache einen gewaltigen Satz - und drücke mitten im Sprung den Auslöser. Ich bin völlig davon überzeugt, dass das von außen betrachtet verdammt lässig aussah. Denn ich habe mich genau so dabei gefühlt! Nicht oft, aber doch gelegentlich kann man die Kräfte so wunderbar spaßig kombinieren. Ärgerlicherweise gibt es kaum eine fummeligere Methode, als die, die sich die Entwickler ausgedacht haben, um die Kräfte standardmäßig auszuwählen: Mausrad gedrückt halten, Maus ringförmig bewegen, um Kraft zu wählen - es gibt zwar auch Hotkeys, aber im Eifer des Gefechts zwei Mal »Strg« zu drücken, um sich zu tarnen, ist alles andere als ideal. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, per Druck auf die Taste 4 die Kräfte der Reihe nach durchzuschalten, aber a.) ist das extrem unpraktikabel und b.) funktioniert es aus irgendeinem Grund nur alle Jubeljahre.
Der Feind im Busch
Als Nanoanzug tragender Supersoldat will man nicht nur getarnt durch die Gegend flitzen und Gegnerweitwurf spielen, sondern vor allem ballern: Doppelpistolen, MGs, Schrotgewehr, Raketenwerfer, Scharfschützengewehr, Minigun oder Alienknarre laden zum ausgiebigen Gebrauch ein. Aber besser nicht zu ausgiebig, denn zusätzliche Munition wird nicht einfach beim Drüberlaufen eingesammelt - stattdessen muss man sich danach bücken und jedes Magazin einzeln aufsammeln, das erledigte Gegner fallen gelassen haben. Prinzipiell eine nette Idee, die aber spätestens im dichten Wald nervt, in dem die Knarren unauffindbar in irgendeinen Busch gerutscht sind. Falls euch die Munition ausgeht, könnt ihr euch auch einen Gegner schnappen, wenn ihr nahe genug rankommt: Der bedauernswerte Zeitgenosse schnappt dann an eurer linken Hand baumelnd verzweifelt nach Luft und lässt sich als menschlicher Schutzschild missbrauchen. Währenddessen dürft ihr mit der Waffe in der rechten Hand, sofern vorhanden, weiterfeuern - allerdings nur, bis das aktuelle Magazin leergefeuert ist. Nachladen geht nicht, da die linke Hand voller Feind ist, den man im Bedarfsfall etwas respektlos wegwerfen kann. An jeder Wumme dürft ihr in Echtzeit herumbasteln: Ein Druck auf die entsprechende Taste, und schon haltet ihr euch die Waffe vors Gesicht. Jetzt warten Extras wie Reflex- oder Scharfschützenvisiere, Granataufsätze und Taschenlampen darauf, per Mausklick ein neues Zuhause zu finden.
Diese Tools können über Erfolg oder Scheitern entscheiden, denn Crysis ist schon auf dem zweiten der vier Schwierigkeitsgrade eine Herausforderung: Die Gegner haben Luchsaugen, ein ruhiges Händchen und einen schnellen Abzugsfinger - und sie schlucken, im Gegensatz zum Protagonisten, absurd viele Treffer! Davon abgesehen kann sich die KI wie schon bei Far Cry sehen lassen: Feinde reagieren auf Lichtstrahlen, nutzen geschickt Deckung, agieren als ausschwärmendes Team und weichen Beschuss aus. Gelegentlich spinnt das System aber: Da läuft mal ein Feind an mir vorbei, ein anderer bleibt zappelnd an einer Stelle stehen und ein dritter zielt zwar auf mich, überlegt es sich dann aber doch anders - und macht einfach gar nix. Das dürfte auf der höchsten Schwierigkeitsstufe für Erleichterung sorgen, denn hier wird aus dem Actiongame ein Taktikspiel, in dem man sich jeden Meter erkämpfen muss - ohne Fadenkreuz, ohne Granatenwarnung und aus irgendeinem Grund ausschließlich Koreanisch statt Deutsch redenden Widersachern. Falls ihr im späteren Spielverlauf die anfängliche Wahl des Schwierigkeitsgrades bereut, kommt euch das Game netterweise entgegen: Ihr dürft ihn auch im Nachhinein jederzeit ändern.
Da Crysis auf einem gigantischen Areal spielt, ist es nicht verwunderlich, dass ihr sehr viele Fahrzeuge zur Verfügung habt - auch dem härtesten Actionhelden schmerzen irgendwann die Superfüße. Neben Jeeps, Trucks und Transportern warten auch Boote, dicke Panzer und Senkrechtstarter-Jets auf ihre Benutzung. Die Steuerung ist simpel-arcadig gehalten, ihr dürft jederzeit in eine Außenperspektive schalten und zwischen verschiedenen Plätzen wechseln, was im Einzelspielermodus kaum Sinn ergibt, da ihr ohnehin keine Passagiere mitnehmt oder ans Steuer lasst. Mit derlei Power unterm Hintern düst es sich viel bequemer von Mission zu Mission, auch wenn die Kisten generell nicht viel Feindbeschuss vertragen. Wenn es unter der Motorhaube lodert, ist es an der Zeit schnell rauszuspringen, eine mächtige Explosion folgt kurz darauf - mit Surround-System an der Soundkarte fliegen euch die Trümmerteile hörbar um die Ohren, auch sonst rummst und kracht es mächtig gewaltig.
Die Aufträge sind mäßig kreativ und sollten Shooter-Fans bekannt vorkommen: Geiseln befreien, Störsender deaktivieren, ein paar Mal zu oft Flugabwehrgeschütze zerballern, bestimmte Punkte erreichen, ein Ziel per Fernstecher für Luftschlag markieren - been there, done that. Crysis ist der an sich offenen Welt zum Trotz weitaus linearer als der Vorgänger: Ihr werdet von Missionsziel zu Missionsziel geschleust, links und rechts davon warten bestenfalls gelegentlich Sekundäraufträge, sonst leider gar nichts. Zwar habt ihr auch hier die Freiheit, euch auf fast beliebigen Pfaden einem Auftrag zu nähern, aber meist ist »Freiheit« nur ein anderer Ausdruck für »umständlich« - es gibt immer genau einen idealen (oder gar möglichen) Weg, von A nach B zu kommen. Die anderen kann man zwar nehmen, aber die sind entweder fummeliger oder länger.
Die Gegner sind clevere Mistkerle: Sie schießen treffsicher, arbeiten als Team und nutzen die vorhandene Deckung geschickt aus.
Nicht nur spielerisch, auch erzählerisch folgt Crysis seinem Vorgänger relativ dicht: Ihr beginnt in einer Bilderbuchlandschaft, trefft eine klugschwätzende Frau und erkundet etwa ab der Spielhälfte vermehrt Höhlen - in denen dann auch bizarre Viecher (hier: Kaulquappen-Außerirdische) lauern. Gegen Ende werden aus den lauschigen Romantiktreffpunkten dann eisbedeckte Polarkappen, in denen der Atem sichtbar wird und das Anzugsdisplay immer wieder gefriert - cool! Ebenso cool, zumindest als Idee, ist der Ausflug in die Schwerelosigkeit: Das Schweben durch die fremdartigen Alien-Gänge ist anfangs faszinierend, kurz darauf unübersichtlich und nach unnötig langer Zeit durch vermehrte Gegnerattacken, die man mangels Munition hauptsächlich
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